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Artikel von Christodoulou und anderen

Ein Syndrom mit Epilepsie, Demenz, und Amelogenese imperfecta (Zahnschmelzfehlbildung): genetische und klinische Merkmale

Journal of Medical Genetics 1988, 25, 827-830

John Christodoulou, Roger K. Hall, Samuel Menahem, Ian J Hopkins, UND John G Rogers

Von den Abteilungen der Genetik, Zahnmedizin, Medizin und Neurologie, Königliche Kinderklinik, Parkville, Victoria 3052, Australien.

Zusammenfassung: Beschrieben wird eine Familie mit sechs von einem Syndrom mit Epilepsie, Demenz und Amelogenese imperfecta (Kohlschütter Syndrom) betroffenen Mitgliedern. Für diese Störung wird ein autosomal rezessiver Erbgang angenommen.
Das Kohlschütter Syndrom (McKusick No 22675) ist eine angeborene Störung, die durch eine fortschreitende Demenz, zunehmende Spastik und Epilepsie charakterisiert ist. Es ist verbunden mit einem angeborenen symmetrisch verlaufenden Zahnschmelzdefekt, der sowohl das Milchgebiss als auch die bleibenden Zähne betrifft, und der bewirkt, dass die Zähne dünne, gelbe und rauhe Kronen haben. Es blieb unklar ob diese Störung x-chromosomal rezessiv oder autosomal rezessiv gebunden ist. Wir beschreiben hier eine Familie, die deutlich einen autosomal rezessiven Erbgang zeigt.

Fallbeschreibung

Abbildung 1 zeigt den Stammbaum dieser Familie.Es gibt sechs betroffene Personen. Das erste Kind blieb normal und das siebte Kind ist sehr wahrscheinlich betroffen. Die Eltern dieser Patienten sind ihrer Herkunft nach Sizilianer, und obwohl sie aus der selben kleinen eng verflochtenen Stadt kommen (ungefähr 5000 Einwohner), bestreiten sie eine Verwandtschaft. Vier mütterliche Verwandte (alle weiblich) werden als geistig zurückgeblieben bezeichnet, aber der Zustand ihrer Zähne ist nicht bekannt. Der väterliche Ast zeigt keine dentalen, neurologischen oder andere relevante Anzeichen.

IV.1 ist ein Mädchen mit normaler Entwicklung und normalem Intellekt und zeigt keine Abnormalitäten im Zahnbereich. Sie ist jetzt 15 Jahre alt.

Abb. 1

IV.2 wurde zeitgemäss nach normaler Schwangerschaft geboren; unkomplizierte Entbindung. Er entwickelte sich normal, bis er im Alter von 11 Monaten im Status epilepticus ins Krankenhaus gebracht wurde. Trotz Behandlung mit verschiedenen Antikonvulsiva, einschliesslich Phenytoin, Primidon und Nitrazepam schienne die Anfälle extrem schwierig zu kontrollieren. Seine Entwicklung verlangsamte sich, und wurde nach und nach rückläufig, und er ist jetzt schwer geistig behindert. Im Alter von sieben Jahren besass er keine Sprachfähigkeit mehr und war nicht imstande, selbständig zu essen, während er noch mit Unterstüzung laufen, und ohne Hilfe sitzen konnte.

Mit dem Durchbruch der ersten Zähne im Alter von sechs Monaten, wurde eine Zahnschmelzabnormalität bemerkt, jedoch ihre Bedeutung nicht erkannt. Er starb im Alter von 10 ½ Jahren durch Lungenentzündung, Epilepsie und Abzehrung.

Das erste betroffene Kind wurde intensiven Untersuchungen unterzogen, einschliesslich einer vollständigen Untersuchung des Blutes, Serum Sodium, Potassium, Chloride, Calcium, Magnesium, Glukose, Röntgenaufnahme von Brust und Schädel, die normal waren. Das EEG zeigte allgemein ausgeprägte slow wave Aktivität, aber keine fokalen Auffälligkeiten. Die CSF Untersuchung zeigte bei der ersten Vorstellung keine Abweichungen, lag hingegen in der Phase, die zum Tod führte, bei einem erhöhten Laktatwert von 6.75 mmol/l (normaler Wert 1.04 bis 2.26). In der Endphase zeigte die CSF Aminosäureanalyse einen Glyzerinwert von 18.2 umol/l (Normalwert 3.0 bis 10.2) und einen Alaninwert von 57.2 umol/l (Normalwert 4.4. bis 42.0), während alle anderen Aminosäurekonzentrationen normal waren. Suche nach Eiweiss und organischen Säuren im Urin blieben ohne Abweichungen. Säure Base und Leberfunktionstest waren normal. Plasma C26:22 und C24:22 langkettige Fettsäurewerte waren normal, ebenso wie die Lysosomal Tätigkeit der weissen Blutkörperchen (einschliesslich ß-Galaktosidase, Hexosaminidase A und B, Arylsulphatase A, Säure Phosphatase, ß-Glukuronidase, alpha-Fukosidase, ß-Glukocerebrosidase, Sphingomyelinase, und ß-Galaktocerebrosidase). Eine Biopsie des Bindegewebes zeigte keine Einschlüsse.

Abb.2

Röntgenaufnahme des Gebisses von IV.6 im Alter von vier Jahren. Man beachte den dünnen, hypoplastischen Zahnschmelz der Molare und Spitzen (cuspids) des Milchgebisses und der ersten bleibenden Molare.

 

Es gab fünf weitere betroffene Geschwister in dieser Familie, und ihre Klinik ist in der Tabelle aufgeführt. Sie hatten alle einen normalen Grundstoffwechsel und Urinwerte. IV.3 wurde zusätzlich eingehender interviewt. Diese Test beinhalteten Fibroplastkulturen einer Reihe von Enzymen (Pyrovat Dehydrogenase, Cytochrom c Oxydase, Succinatecytochrome c Reductase, NADH-Cytochrome c Reductase, und E1 ATPase), G gebundene Karyotype, Urinsäureserum, Porphyrin Blut Screen, Blutammoniak, und CSF Laktat, Pyrovat und Aminosäuren. Alles ergab normale Ergebnisse. Keins der Kinder hatte ein CT oder MRT des Gehirns. Das Phenylalanin-Plasma der Mutter war normal.

Die Zahnuntersuchung von IV.6 ergab die Diagnose des Syndroms in dieser Familie. Die ersten Zähne waren symmetrisch von Zahnschmelzdefekt und rauher Hypoplasie betroffen. Die Zähne hatten bedingt einerseits durch das durch den extrem dünnen Zahnschmelz scheinenden Dentin , andererseits durch Strukturveränderungen des Zahnschmelzes eine gelbliche Farbe. Abb. 2 zeigt eine Röntgenaufnahme des Gebisses von IV.6 im Alter von vier Jahren, und Abb.3 zeigt das Aussehen dieser Zähne im Alter von fünf Jahren.

Abb.3

Das Erscheinungsbild der Zähne von IV.6 im Alter von fünf Jahren.

 

Diskussion

Die klinischen Syptome der betroffenen Geschwister dieser Familie gleichen sehr stark der von Kohlschütter et al (1) beschriebenen Familie. In der von uns beschriebenen Familie entwickelten sich die betroffenen Kinder bis zum Beginn der Anfallstätigkeit, im Alter von sieben bis zweiundzwanzig Monaten, normal. Bei den drei ältesten Kindern.verlangsamte sich die psychiomotorische Entwicklung und wurde nach und nahc rückläufig, was zu schwerer geistiger Behinderung in der Kindheit führte. Es gab Schwierigkeiten die Anfälle zu kontrollieren.

Alle betroffenen Kinder zeigten den als Amelogenese imperfecta bekannten Zahnschmelzdefekt, während das einzige normale Kind und die Eltern keine Abweichungen der Zähne zeigen. Drei der sechs betroffenen Kinder sind gestorben. Bis auf die Zahnfehlbildungen wurden keine Missbildungen bei den erkrankten Kindern gefunden.

Der geistig retardierten Vorfahren, die im Stammbaum gezeigt werden, leben in Italien, und über sie sind keine Informationen verfügbar.

Biochemische und zytogenetische Untersuchungen bei einigen betroffenen Personen gaben keine Hinweise auf eine zugrundeliegende Stoffwechselstörung. Die erhöhten CSF Laktatwerte des ältesten Jungen konnten keiner Stoffwechselstörung zugeordnet werden.

Analysen früherer Stammbäume ergaben keine eindeutigen Hinweise. Dies spricht stark für einen autosomal rezessiven Erbgang. Sowohl männliche als auch weibliche Nachkommen sind gleichermassen schwer betroffen, während die Eltern klinisch unauffällig sind. Trotz des ihnen vor Augen geführten Risikos haben die Eltern beschlossen weitere Kinder zu bekommen, da sie auf einen gesunden Sohn hoffen.

Das deutlichste physische Charakteristikum dieser Erkrankung ist der Zahnschmelzdefekt, der es ermöglichte, das Syndrom zu diagnostizieren. Eine normaleZahnschmelzentwicklung beeinhaltet die Formation und Absonderung einer organischen Matrix, die die Proteine Amelogenin und Enamelin in sich trägt, und die für die Entwicklung des ersten Gebisses in der siebten Schwangerschaftswoche beginnt. Hierauf folgt die Mineralisierung der Matrix in der neunten Woche und anschliessend die Ausreifung des Zahnschmelzes unter Wandlung von Amelogenin zu Enamelin. Der hier beschriebeneZahnschmelzdefekt, bekannt als Amelogenese imperrfecta ist das Ergebnis eine Störung auf der Ebene der Organmatrix und zieht sich durch bis zur Calcifizierung. Diese Störung tritt mit einer Häufigkeit von 1 : 4000 bis 1: 14000 auf. Amelogenese imperfecta tritt als einzelnes Symptom sowohl in autosomal als auch x-chromosomal gebundenen Erbgängen auf, und zwar sowohl dominant als auch rezessiv in jeder Gruppe. Dieser Typus eines Zahnschmelzdefektes, der alle Zähne sowohl des Milch- als auch des bleibenden Gebisses betrifft, aber von der Entwicklung her nicht zeitgebunden ist, wie bei hypoplastischen Zahnschmelzdefekten gesehen, kann als isolierter Defekt auftreten, wurde aber niemals bei einem anderen als dem Kohlschütter Syndrom beschrieben.

Kohlschütter et al (1) nahmen an, dass es sich um ein einzelnes defektes Gen handle, das für die Erregbarkeit der Haut (membran excitability), Zahnschmelzbildung und vielleicht Schweissproduktion zuständig ist. Amelogenese imperfecta könnte das Ergebnis einer Veränderung im Enamelin sein. Das ursprüngliche Gewebe, aus dem der Zahnschmelz entsteht, ist vom Ursprung her ektodermal, genauso, wie das Gehirn.(6). Viele Zustände, die neurologische Defekte zeigen, haben Zahnabnormalitäten als Begleiterscheinungen (7). Die Hypothese liegt nahe, dass die hier beschriebene Störung auf einen Defekt bei der Ausreifung des ektodermalen Gewebes zurückgeht.

Derzeit gibt es nur die Möglichkeit einer Begleitung und es wäre wichtig, jedes Kind mit einer Amelogenese imperfecta (vollständigem Zahnschmelzdefekt) auf mögliche neurologische Störungen hin sorgsam zu untersuchen.

Literatur

1 Kohlschütter A., Chappuis D, Meter C, Tönz O, Vassella F, Herschkowitz N. Familial epilepsy and yellow teeth – a disease of the central nervous system associated with enamel hypoplasia. Helv Paediatr Acta 1974; 29:283-94

2 Witkop CJ Jr, Sauk JJ Jr, Heritable defects of enamel. In: Stewart RE, Prescott GH, eds. Oral facial genetics. St Louis: Mosby, 1976:151-226.

3 Wright JT, Analysis of a kindred with amelogenesis imperfecta. J Oral Pathol 1983; 14:366-74

4 Sundel S, Koch G,. Hereditary amelogenesis imperfecta. !.Epidemiology and clinical classification in a Swedish child population. Swed. Dent J 1983; 9: 157-69.

5 Menanteau J, Mitre D, Raher S. An in vitro study of enamel protein degradation in developing bovine enamel. Arch Oral Biol. 1986; 12:807-10.

6 Moore KL, The skin, cutaneous appendages and teeth. In: The developing human. Philadelphia: Saunders, 1982:228-31.

7 Smith DW. Appendix. Pattern of malformation differential diagnosis by anomalies. In: Recognizable patterns of human malformations. Philadelphia: Saunders, 1982:27-8.

Schriftverkehr und Nachdruckgenehmigungen bei Dr.John Christodoulou, Department of Genetics, Royal Children’s Hospital, Flemington Road, Parkville, Victoria 3052, Australien.

  



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